Zwischen Hamsterrad und Hashtag

von #95vsWissZeitVG zu #IchbinHanna

Am Reformationstag 2020 entstand die Idee, die prekäre Arbeit in der Wissenschaft unter #95vsWissZeitVG auf Twitter sichtbar zu machen. Aus dieser Idee wurde im September 2021 eine Veröffentlichung einzelner, persönlicher Beiträge verschiedener Wissenschaftler:innen. Auch ich durfte einen Artikel beitragen, doch seitdem hat #IchbinHanna im letzten halben Jahr einiges verändert.

#95vsWissZeitVG

Als ich im Frühjahr 2021 gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könne, ein persönliches Essay über meine berufliche Situation und meine Erfahrungen als sogenannte ›Bildungsaufsteigerin‹ in Academia zum Sammelband beizutragen, drehte sich dies vor allem thematisch um die Schwierigkeiten, als Postdoc ›nebenberuflich‹ wissenschaftlich zu arbeiten. Nicht zuletzt deshalb, weil ich zu diesem Zeitpunkt mit meiner beruflichen Situation und der Entscheidung, der wissenschaftlichen Laufbahn den Rücken zu kehren oder sie weiter zu verfolgen, sehr gerungen habe.

Nach dem Auslaufen meines Promotionsstipendiums und meines Promotionskredits habe ich mithilfe der freundlichen finanziellen Förderung des Jobcenters meine Dissertation redigiert und für den Druck vorbereitet. Meine finanzielle Notlage brachte mich dazu, mich nicht ausschließlich auf akademische Stellen zu bewerben; finanzielle ›Durststrecken‹ konnte ich, wie viele andere Hannas und Reyhans, nicht durch Erspartes oder familiäre Unterstützung überbrücken. Ich fand glücklicherweise zügig eine Stelle als Vertretungslehrerin (Elternzeitvertretung), die mich aus dem Griff des Jobcenters befreite und die ich durch glückliche Umstände bis heute habe.

Da es sich um eine Vertretungsstelle in Teilzeit handelte, habe ich mich weiterhin auf akademische Stellen beworben, nebenher geforscht, publiziert und gelehrt. Ich wollte den Anschluss nicht verlieren und beweisen, dass ich hart im Nehmen bin und die wissenschaftliche Karriere ›wirklich‹ will. Was ich damals noch nicht wusste: Schon der Umstand, dass ich nebenberuflich weniger wissenschaftlichen ›Output‹ produzieren konnte, hat sich negativ auf meine Wettbewerbsfähigkeit ausgewirkt. Die Teilnahme an Kongressen, Tagungen oder auch nur freie Zeit, die letztlich mit unbezahlter Arbeit ausgefüllt wird, war nicht in dem Umfang möglich, wie es offenbar nötig gewesen wäre, um konkurrenzfähig zu bleiben.

Wettbewerb ›out of my league‹?

Allerdings war diese (wie ich heute weiß) auch vorher nicht besonders gut. Nach einigen erfolglosen Bewerbungsgesprächen wurde ich von den Verantwortlichen persönlich kontaktiert, weil sie mir Mut machen wollten, meine wissenschaftlichen Ambitionen nicht aufzugeben, nur weil es mit dieser Stelle nicht geklappt habe. Eine, wie ich bis heute finde, sehr freundliche Geste, die mich beinahe in gleichem Maße freut und frustriert: Auf die Nachfrage, was genau der ausschlaggebende Faktor für die Absage sei, habe ich mehrfach gehört, man habe sich eben für eine:n Bewerber:in entschieden, der/die bereits universitäre Berufserfahrung mitbringe oder diese und jene Software kenne. Obgleich ich einsehe, dass man sich Kosten und Mühen spart, wenn man die Einarbeitung möglichst kurz gestalten kann, liegt die Ironie auf der Hand: Wenn ich Stellen nicht bekomme, weil mir die Berufserfahrung dafür fehlt, werde ich die Berufserfahrung auch nicht sammeln und mich somit aus diesem Teufelskreis nicht lösen können.

Es ist also schon die Tatsache, dass ich ›frei‹, also mithilfe der finanziellen Förderung eines Stipendiums promoviert habe und nicht auf einer bezahlten Stelle in einem Graduiertenkolleg, die mich im Rennen um die begehrten Stellen auf die hinteren Plätze befördert. Ich habe zweieinhalb Jahre lang eben ›nur‹ zuhause gesessen, geforscht und an meiner Arbeit geschrieben, statt nebenher auf Kongresse zu fahren, einen Artikel nach dem nächsten zu veröffentlichen, Tagungen und Workshops zu veranstalten oder Sammelbände mitherauszugeben. Zu diesem Zeitpunkt war mir durchaus bewusst, dass Netzwerken und Publizieren meine Chancen verbessern würde, aber mir war nicht klar, wie sehr mir das später noch auf die Füße fallen würde – natürlich nicht!

Mythos Meritokratie

Wie viele ›Aufsteiger:innen‹ dachte auch ich, dass sich meine harte Arbeit eben in Qualität statt Quantität von Veröffentlichungen messen ließe und so zu meinem ›benefit‹ wirken würde. Immerhin hatte ich doch auch Drittmittel eingeworben und diese sogar noch außerplanmäßig aufstocken und verlängern dürfen. Nach meiner Disputation habe ich sogar einen Dissertationspreis gewonnen, der unter dem Gesichtspunkt von methodischer Innovation vergeben wurde. Eine ziemliche Bestätigung meiner unkonventionell konzipierten Arbeit und ein vermeintliches Versprechen für wissenschaftlichen Erfolg, weil doch an allen Ecken nach Innovation gesucht wird.3 So dachte ich das jedenfalls. All das hat mir Mut gemacht, mich weiterhin als wettbewerbsfähig zu betrachten, und dazu geführt, dass ich nicht aufgeben wollte. Dass so ein Preis oder ein Stipendium mehr als ein ›nice to have‹ betrachtet wird, wusste ich natürlich nicht. Woher auch? Ich stand ja immer am Rand des Systems ohne Blicke hinter die Kulissen.

Viele Jahre lang habe ich das alles aber lediglich als zusätzliche ›Hürde‹ empfunden, die sich eben zu meiner mangelnden habituellen Passung in Academia gesellt2, die ich aber durch harte Arbeit und Durchhaltevermögen überwinden würde. Ich hatte das akademische Narrativ, möglichst ›committed‹ zu sein und jede freie Sekunde der vermeintlichen Berufung zum Forschen zu opfern, schon völlig inkorporiert. Diese Naivität führte nicht nur zu einer Mehrfachbelastung zwischen Unterricht und Vortragsreise, zwischen Klausurkorrektur und Publikation, sondern auch zu zahlreichen Beratungsterminen und letztlich der Aufnahme in ein Mentorenprogramm zur Förderung von Postdoktorandinnen. Ich war ja schließlich ›committed‹ und hatte ein Ziel, da ist jede denkbare Möglichkeit auszuschöpfen und Erschöpfung zu ignorieren. Das wiederum hat mich an die Grenzen meiner persönlichen Ressourcen gebracht.

#IchbinzwischenHannaundReyhan

Erst mit den Einblicken, die ich durch #IchbinHanna und #IchbinReyhan erhalten habe, wurde klar, dass es sich bei meinen erfolglosen Karrierebemühungen in Academia nicht um individuelles Versagen, sondern um ein strukturelles Problem handelt, das ich nicht beeinflussen kann und das sich für meine Karriere voraussichtlich nicht schnell genug ändern wird. Die aus den zahlreichen Tweets resultierenden Artikel und die Repräsentanz des Themas in den Medien hat vielen Betroffenen Hoffnungen gemacht, an den prekären Verhältnissen noch etwas zu ändern – mich hat das leider nicht erreicht. Mit jeder neuen Stimme wurde ich ein Stück weiter desillusioniert. Was anfangs schmerzlich war, scheint nachträglich sogar heilsam zu sein.

Zu sehen, wie schwer es schon für Hannas ist (also Wissenschaftler:innen, die schon eine privilegierte Stellung im System haben und dennoch dauerhaft kämpfen und straucheln) und wie ungleich schwerer es auf Reyhans Seite ist, hat mich resignieren lassen. Ich bin nämlich nicht Hanna, und ich bin auch nicht Reyhan, sondern ich stehe irgendwo dazwischen. Wenn die Tweets der Hannas und Reyhans irgendetwas verdeutlichen, dann, dass es im System nur eine verschwindend geringe Chance gibt, überhaupt bleiben zu können. Schon die kleinste Hoffnung auf eine unbefristete Stelle oder Professur ist der Treibstoff, der Wissenschaftler:innen zu Höchstleistung bis an den Rand des Burnouts treibt und den Verantwortlichen noch den Gefallen tut, das Versagen zu individualisieren.

Ich für meinen Teil konnte mein Ringen, das ich noch zu Beginn des Jahres in #95vsWissZeitVG zum Ausdruck gebracht habe, beenden. Die Perspektiven sind schon bei besten Startvoraussetzungen im System mehr als dürftig und da ich diese nicht einmal mitbringe, habe ich für mich entschieden, dass alle Ambitionen letztlich in Frust und Erschöpfung münden. Interessanterweise kam der letzte Schubs zu dieser Entscheidung von meiner Mentorin, also sozusagen erst durch den Blick hinter die Kulissen. Ihre Beratung hat mich letztlich auch mit meinem vermeintlichen ›Versagen‹ versöhnt. Denn erst durch sie wurde mir klar, dass nicht ich versagt hatte, weil ich die falschen Fragen gestellt habe und die richtigen gar nicht kannte.

Abhängigkeit und toxische Beziehungen

Vor allem aber hat sie mich mit der Nase auf einen inneren Widerspruch gestoßen. Mein verbissenes Festhalten an einer akademischen Karriere in den letzten zwei Jahren war vermutlich bedingt durch Stolz und eine falsche Orientierung meines Selbstwerts. Ich wollte es ›zu etwas‹ bringen und in meiner naiven Vorstellung eines Leistungssystems bedeutete das, dass ich darin reüssieren müsse, weil ich doch immer leistungsfähig war. Zu verstehen, dass Leistung in Academia vor allem in Zahlen (also Publikationen, Drittmittel usw.) gemessen wird, hat mir erst gezeigt, dass mein Verständnis bzw. mein Maßstab für Leistung und Erfolg mit dem des Wissenschaftssystems unvereinbar ist. Ich war also in einem Abhängigkeitsverhältnis zu einem System, dessen Auswüchse ich in keiner Weise gutheiße, und habe somit den Kontakt zu meinem eigenen Bedürfnis und meiner eigenen Haltung verloren, weil ich es ›zu etwas‹ bringen wollte.

Dabei habe ich nicht gemerkt, dass ich mit den dazugehörigen Bedingungen nicht einverstanden bin. Ich möchte mich nicht bis zur Selbstaufgabe schröpfen, um ein paar Tropfen mehr in ein Fass zu träufeln, das kurz vorm Überlaufen ist, aber vor allem diejenigen wegspülen wird, die es mit harter Arbeit gefüllt haben. Vielleicht ist es somit also ein Glücksfall, dass ich beruflich nicht in Academia (bruch-)gelandet bin. So hoffe ich, dass ich in zehn Jahren eher berufliche Zufriedenheit erlebe und eine dauerhafte Perspektive erhalte, statt mich erneut in die Schlange beim Jobcenter einzureihen, um mir sagen zu lassen, dass meine ohnehin schon prekären Lebensbedingungen nun noch prekärer sein müssen, weil meine Wohnung 2m² zu groß ist. Und selbst wenn Zufriedenheit und Planungssicherheit in zehn Jahren nicht erreicht worden sind, hoffe ich doch wenigstens, bis dahin ein ausgefülltes, entspanntes Leben leben zu dürfen, ohne jede freie Sekunde für eine vermeintliche Berufung aufzuopfern und mit dem permanenten Gefühl des ›Nicht-fertig-Seins‹ durch die Welt zu laufen. Immerhin kann ich das mitbestimmen.

Für alle anderen Hannas und Reyhans erhoffe ich mir eine Veränderung im System. Egal ob und wann sie kommt, werde ich davon in keiner Weise profitieren können. Und obgleich sich die Entscheidung, der Wissenschaftskarriere endgültig den Rücken zu kehren, nicht mehr zu lehren, zu forschen und um jeden Preis zu publizieren, wie eine schmerzhafte Trennung anfühlt, scheint es doch ein Befreiungsschlag aus einer toxischen Beziehung gewesen zu sein.

#IchwillnichtmehrHannasein


1 Nach der Veröffentlichung von #95vsWissZeitVG wurde die mangelnde Diversität der Beiträger:innen scharf kritisiert (vgl. z.B. hier).

2 In meinem Beitrag, aber auch hier und hier, beschreibe ich die Schwierigkeiten, die ich durch meinen ›Bildungsaufstieg‹ in Academia erlebt habe.

3 Was ich unter wissenschaftlicher Innovation verstehe, scheint sich nicht mit dem Innovationbegriff von Academia zu decken.

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